Sobald wir Sachtexte verfassen, müssen wir ebenfalls unser Wissen ordnen, Zusammenhänge erklären, Beispiele finden und Widersprüche auflösen. Beim Lehren als auch beim Schreiben gibt es einen Doppelnutzen: Andere erfahren etwas und wir vertiefen unser Know-how.
In der Lernpsychologie gibt es sogar einen Begriff dafür: „Lernen durch Lehren“. Dieser wurde von Jean-Pol Martin geprägt. Studien zeigen, dass Menschen Lerninhalte besser behalten, wenn sie diese einer anderen Person erklären, als wenn sie den Stoff nur für sich selbst wiederholen.
Der Grund ist einfach: Beim Erklären müssen wir unser bisheriges Wissen neu organisieren. Schreiben wirkt ähnlich auf unser Gehirn, wobei wir bei diesem zeitgleich die Rolle der Lehrperson und der lernenden Person übernehmen.
Die Vorbereitung weist ebenso Parallelen auf: Wir können nur etwas unterrichten, das wir selbst durchdrungen haben. Wenn bei einem Kurs Fragen der Teilnehmenden auftauchen, müssen wir darauf vorbereitet sein. Das setzt voraus, dass wir uns ausführlich mit dem jeweiligen Themengebiet beschäftigt haben.
Beim Verfassen eines Artikels oder Buchbeitrags ist es ebenso erforderlich, uns damit gründlich zu beschäftigen. Selbst wenn wir uns damit bereits auskennen, ist es erforderlich, davor oder während des Schreibprozesses zu recherchieren und unser Wissen über den Inhalt unseres Textes zu vertiefen.
Dies gilt ebenso für Fachleute. Sie haben langjährige Erfahrung, kennen ihr Gebiet wie ihre Westentasche, wissen über aktuelle Trends aus der Branche Bescheid und verfolgen alle öffentlichen Diskussionen zu ihrem Thema.
Das eigene theoretische und praktische Wissen verinnerlicht zu haben und es jederzeit auf Knopfdruck blind umsetzen zu können, ist jedoch etwas gänzlich anderes als es einem Neuling zu vermitteln. Das kennen alle Führungskräfte, Selbstständige, Unternehmerinnen und Unternehmer, die Lehrlinge (in Deutschland werden sie Auszubildende genannt) beschäftigen wollen. Bei uns in Österreich schreibt der Gesetzgeber vor, dass die verantwortlichen Personen in den Lehrbetrieben dafür eine zusätzliche Ausbildung benötigen. Auch in Deutschland und in der Schweiz müssen Lehrpersonen in Unternehmen nachweisen können, dass sie dafür geeignet sind.
Zum Schreiben eines Textes wie diesem Blogbeitrag müssen wir zum Glück keinen gesetzlich vorgeschriebenen Kurs absolvieren, doch wenn wir den Post veröffentlichen wollen, benötigen wir ebenso zusätzliches Wissen, um ihn so zu verfassen, damit er für die jeweilige Zielgruppe leicht verständlich ist. Das gilt umso mehr, wenn wir etwas bislang (noch) nicht bis ins kleinste Detail kennen.
Bei jedem Vortrag würden halb gedachte Sätze sofort auffallen, sofern wir nicht vom Blatt ablesen, sondern frei sprechen. Unlogische Ideen zeigen sich auch beim Schreiben sofort. Das ist jedoch ganz normal und gehört zur Entstehung dazu. Wie ich gelegentlich von den Teilnehmenden meiner Workshops höre, irritiert das viele. Sie glauben, sie müssten bereits von Beginn an einen perfekten Text abliefern.
Das ist aber nicht der Fall, denn im Gegensatz zur Schularbeit während des Deutschunterrichts bleiben wir beim Schreiben unbeobachtet. Somit weiß außer uns kein Mensch, wie unser Text entstanden ist. Niemand erfährt, dass wir zuerst grobe Ideen notiert haben, die wir Schritt für Schritt durch unsere Recherchen ergänzen und so lange überarbeiten, bis unser Text rund ist. Wir durchlaufen beim Schreiben eines Sachtextes einen ähnlichen Prozess wie Lehrende: selbst verstehen, strukturieren, vereinfachen und die Inhalte zielgruppengerecht aufbereiten.
Beim Unterrichten als auch beim Schreiben entsteht eine deutlich gründlichere Verarbeitung, was dazu führt, dass wir das jeweilige Wissen nicht nur verstehen, sondern auch verankern. Hier gleich ein Beispiel:
Bei manchen Blogbeiträgen wie bei diesem habe ich zu Beginn nur eine grobe Idee. Diese schreibe ich mir in mein Notizbuch, zumeist ergänzt von ein oder zwei Sätzen, damit ich später weiß, was ich mir dabei gedacht habe.
Gestern begann ich, diesen Blogpost zu verfassen. Während des Schreibens habe ich zusätzlich recherchiert und das Thema ausgearbeitet. Da Du jetzt diesen Text liest, hat es dieses Mal auch geklappt.
Manchmal schreibe ich drauflos und erkenne währenddessen, dass meine ursprüngliche Idee nicht aufgeht: Entweder, weil ich noch zusätzliche Informationen benötige, die ich auf die Schnelle nicht auftreiben kann. Wenn der Blogbeitrag bereits am nächsten Tag online gehen soll, muss ich einen anderen Post verfassen. Oder, weil das Thema den Rahmen eines Blogbeitrags übersteigt. Dann bleibt der Text im Entwurfsmodus und ich arbeite zu einem späteren Zeitpunkt daran weiter, sobald ich daraus eine Podcast-Episode machen möchte.
Unabhängig davon läuft mein Schreibprozess zumeist ähnlich ab: Zu Beginn ist vieles noch diffus. Erst durch das Schreiben wird es greifbarer. Manchmal verändere ich währenddessen die Perspektive oder das Thema. Gelegentlich baue ich den Beitrag komplett um, tausche Argumente aus oder streiche ganze Absätze weg. Stell Dir das wie ein Haus vor, wo ein Bauteil komplett abgerissen und zeitgleich ein neuer gebaut wird. Auch wenn es mitunter wie ein wilder Buchstabenhaufen aussieht, beunruhigt es mich nicht. Denn ich weiß, das ist völlig normal und Teil der Überarbeitung. Zeitgleich mit dem Schreibprozess vertieft sich stets auch mein Denken und Wissen über das, worüber ich schreibe.
Wie mir aufgefallen ist, klappt das von sich selbst Lernen auch bei Texten, die ich nicht veröffentlichen will. Vielleicht hast Du Ähnliches erlebt: Du schreibst eine E-Mail, ein Konzept oder einfach ein paar Gedanken in Dein Notizbuch. Nach ein paar niedergeschriebenen Worten oder Sätzen ergibt etwas Sinn, das Dir vorher unklar war. Genau diese Geistesblitze sind ein Zeichen dafür, dass Du durch das Formulieren der Worte auf Papier erneut etwas von Dir gelernt hast.
Das ist auch einer der Gründe, die mich am Schreiben faszinieren. Schreiben ist nach innen gerichtetes Lehren und Lehren ist nach außen gerichtetes Denken. Beides macht Denken als auch Wissen sichtbar und führt zum selben Ziel: Unser Gehirn erkennt und entdeckt neue Strukturen. Für mich fühlt es sich großartig an und daher empfehle ich Dir, es einfach auszuprobieren, falls Du es nicht ohnehin regelmäßig praktizierst.