28.12.25

Was wir bei Ende und Anfang gerne übersehen

Ende und Anfang liegen oft näher beieinander, als uns lieb ist. Kaum haben wir etwas abgeschlossen, schauen wir sofort nach vorn: neue Vorhaben, neue Ziele, neue Pläne oder das neue Jahr. Wir fühlen uns gut, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die Zukunft richten. Wozu sollen wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, wenn wir sie ohnehin nicht ändern können? 

Obwohl diese Schlussfolgerung auf den ersten Blick logisch wirkt, verzichten wir damit auf eine bewusste Bewertung des tatsächlichen Geschehens. Eine solche Analyse könnte uns eine fundierte Grundlage liefern, damit wir frei entscheiden können, ob wir beim nächsten Mal etwas ändern oder ob wir das bestehende Verhalten fortsetzen wollen.

Rückblick als logische Geschichte

Am Ende eines Projekts, eines Lebensabschnitts oder eines Jahres ziehen viele Menschen Bilanz. Sie überlegen, was gut gelaufen ist und was weniger geklappt hat. Was wir dabei leicht unterschätzen, sind die Fähigkeiten unseres Gehirns. Unser Gedächtnis ist kein neutraler Speicher wie die Festplatte eines Computers. Es rekonstruiert Vergangenes mit dem Wissen und den Bewertungen von heute.

Darauf bin ich sowohl in einem YouTube-Video als auch in einer Podcast-Episode eingegangen. Der sogenannte Rückschaufehler (Hindsight Bias) führt dazu, dass wir im Nachhinein glauben, bestimmte Entwicklungen vorhergesehen zu haben. 

Wir erinnern uns nicht mehr genau an unsere damaligen Überlegungen und Entscheidungen und erzählen rückblickend gerne eine plausible Geschichte, die aus heutiger Sicht Sinn ergibt. Die nüchterne Analyse ist dadurch eingeschränkt, weil uns ohne schriftliche Notizen ein zuverlässiger neutraler Bezugspunkt fehlt. 

Erkenntnis kann unangenehm sein

Auch wenn wir unsere damaligen Überlegungen schriftlich vorliegen haben und den Rückblick bewusst und schriftlich machen, ist das mitunter ein unangenehmer Prozess. Genau deshalb wird er häufig hinausgeschoben, verkürzt oder innerlich abgewehrt.

Aus Erfahrung weiß ich, dass uns die Klarheit dieser Erkenntnisse emotional berühren kann. Zu sehen, dass zwischen dem, was wir damals angenommen haben, und der Realität eine Lücke klafft, kann in manchen Fällen erleichternd sein, weil wir endlich die Zusammenhänge verstehen. Es kann aber auch schockierend sein, wenn wir plötzlich unsere eigenen Ausreden durchschauen. 

Im Worst Case könnten sogar Selbstvorwürfe entstehen, wenn wir erkennen, warum wir das ursprüngliche Ziel verfehlt haben. Beides ist möglich, versperrt jedoch den Blick auf den eigentlichen Erkenntnisgewinn durch die gewonnene Klarheit. 

Dabei bleiben wir in ähnlichen Fällen emotional ruhig. Wenn wir zu Hause oder auf einem Schreibtisch aufräumen und sauber machen, erfinden wir auch keine Geschichte vom Geheimangriff der hinterhältigen Staubkörner. Wir ärgern uns auch nicht darüber, dass wir den Staubfall nicht aktiv verhindert haben. Die meisten Menschen freuen sich, dass es nach der Aufräum- und Putzaktion zu Hause oder am Schreibtisch wieder schön und ordentlich ist. 

Ähnlich verhält es sich mit unserem Denken. Wir akzeptieren problemlos, dass Staub entsteht, ohne jemandem die Schuld zu geben. Gleichzeitig tun wir uns schwer damit zu akzeptieren, dass auch unser Gehirn systematischen kognitiven Verzerrungen unterliegt. Der schriftliche Rückblick erfüllt hier eine ähnliche Funktion wie das Putzen: Er sorgt für Ordnung, nicht für Schuldzuweisungen.

Wie wir Staub nicht verhindern können, können wir kognitive Verzerrungen nicht abstellen. Wir können aber verhindern, dass sie unbemerkt unsere Schlussfolgerungen steuern, indem wir schriftlich auswerten, was sich wirklich ereignet hat.

Beim Anfang wird oft zu schnell geplant

Weil der Rückblick aus den genannten Gründen oft als unangenehm erlebt wird und Anfangen psychologisch anziehend wirkt, stürzen wir uns gerne auf einen Neubeginn. Anfangen fühlt sich positiv, produktiv und handlungsorientiert an, darum ist es zu Jahresbeginn beliebt, Ziele zu formulieren, Pläne zu machen oder Vorsätze zu fassen. 

Besonders deutlich zeigt sich dieses Muster beim Thema Ernährung und Bewegung. Rund um Übergänge wie den Jahreswechsel fassen viele Menschen neue Vorsätze: abnehmen, sich mehr bewegen, gesünder leben. Die Planung beginnt meist direkt mit Maßnahmen.

Was dabei oft fehlt, ist die nüchterne Analyse: Warum ist es im vergangenen Abschnitt nicht gelungen? Lag es wirklich an mangelnder Disziplin? Oder lag es eher am Schlafdefizit, Stress, Erschöpfung oder fehlender Regeneration? Ohne diese Klärung wird Verhalten geplant und nicht das System, das dieses Verhalten hervorgebracht hat, hinterfragt. 

Falls Du mich ein wenig kennst, weißt Du vielleicht, dass ich ebenfalls früher dieses Problem hatte. Anstelle ohne Analyse in blinden Aktionismus zu verfallen, habe ich mir die Zeit genommen und durch strikte Selbstbeobachtung und Analyse die Ursache meines Problems herausgefunden. 

Ich saß abends vor dem Fernseher und habe aus Langeweile gegessen. Die bittere und gleichzeitig radikal ehrliche Erkenntnis war, dass mir stunden- und tagelanges Fernsehen und dabei Partypackungen Chips zu futtern, keine Freude bereiteten. 

Daraufhin traf ich die Entscheidung, Gesundheit auf Platz eins meiner Werte zu setzen. Erst danach war ich bereit, meine abendlichen Gewohnheiten zu hinterfragen, zu verändern und Bewegung wieder bewusst in meinen Alltag zu integrieren.

Warum Planung oft scheitert

Neue Ziele scheitern häufig an ungeprüften Annahmen. Meine Erfahrung zeigt, dass es selten an fehlendem Wissen oder an fehlenden Informationen mangelt. Wer ohne Rückblick plant, führt die alten Verhaltensweisen weiter und braucht sich nicht wundern, wenn sie weiterhin die Lösung verhindern. Selbst bekannte Tipps könnten ohne Berücksichtigung der bisherigen eigenen Erkenntnisse ungeeignet sein. 

Wenn ich auf die üblichen Tipps (mehr Bewegung und gesünder essen) gehört hätte, wäre ich nie draufgekommen, dass die Hauptursache beim übermäßigen Snacken aufgrund der Langeweile beim Fernsehen lag. Ich hätte so wie viele andere Menschen wahrscheinlich gedacht, dass ich nicht diszipliniert genug bin. Das ist nur ein Beispiel für eine mögliche Fehlentscheidung, die mit den richtigen Erkenntnissen und bedachter Planung vermieden werden kann.

Der wichtige Zeitfaktor

Zwischen Rückblick und Planung benötigen wir Zeit, damit unser Gehirn die neuen Erkenntnisse, die mitunter disruptiv wirken können, verarbeiten kann, bevor wir tragfähige Entscheidungen treffen können.

Ohne diesen Abstand entstehen Entscheidungen als schnelle Reaktion oder bleiben an der Oberfläche. Die Ursachen schlummern weiterhin im Verborgenen. Man plant zwar etwas Neues, greift dabei aber unbewusst auf dieselben Erklärungen und Muster zurück. Echte Veränderungen bleiben oft aus.

Haben wir etwas Abstand, können wir Entscheidungen treffen, die alte Muster nicht unbewusst fortschreiben, sondern aktiv und bewusst unterbrechen.

Schritt für Schritt

Der Rückblick bringt Klarheit durch Analyse und zeigt, was tatsächlich vorgefallen ist. Die Planung führt zu Entscheidungen und legt fest, was künftig anders laufen soll. Ein oft übersehener Zwischenschritt ist die Integration. Sie entscheidet darüber, ob die Erkenntnisse des Rückblicks folgenlos bleiben oder ob sie sich wirksam entfalten können. 

Wird einer dieser Schritte ausgelassen oder vermischt, entsteht Instabilität, weil der Denkprozess nicht zu Ende geführt wird. Veränderung entsteht nicht durch Ignoranz der Vergangenheit und auch nicht durch schnelle Vorsätze. Dazu sind durchdachte Entscheidungen nötig, für die wir mehr als einen kurzen Moment des Innehaltens benötigen.

Wenn Du diese Schritte gemeinsam mit anderen gehen möchtest, nimm gerne an den beiden Schreibworkshops via Zoom teil, die ich rund um den Jahreswechsel organisiere:

Jahresrückblick am Mo, 29. 12. 2025 von 17:00 Uhr bis 19:00 Uhr

Jahresplanung am So, 04. 01. 2026 von 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr 

7.12.25

Warum Talent nicht reicht

Kürzlich habe ich einen Vortrag auf dem 3. Live-Interaktionskongress zum Thema „Wachstum und Sichtbarkeit“ gehalten. Während ich das Konzept erstellte, wurde mir klar, dass ich über die Veröffentlichung meines ersten Romans im Jahr 2019 erzählen werde.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie das Päckchen vom Verlag kam. Endlich hielt ich meine erste eigenständige Publikation in Händen. Ich war so glücklich und stolz, dass ich sofort ein Foto auf Facebook gepostet habe. Später folgten weitere von der Präsentation beim Verlag, von den Lesungen bei der Buchmesse Leipzig und bei der Buch Wien und im Buchquartier Wien. Außerdem gab es ein Interview im literadio

Ich war davon überzeugt, das würde vollkommen reichen, denn der Rest würde sich automatisch ergeben, sobald die ersten Menschen davon erfuhren.  Trotz meines kontroversiellen Themas geschah nicht viel. Selbst die Rezensionen waren überschaubar.

Aus heutiger Sicht ist es klar: Unter meinem bürgerlichen Namen war ich im Literaturkontext damals praktisch unsichtbar. Nachdem ich von 2009 an mehrere Kurzgeschichten unter A. J. Rosmondi veröffentlicht hatte, gab es keine Verbindung zu mir als Person. Niemand wartete auf meinen Roman, und mit Ausnahme meiner paar Facebook-Kontakte wusste die überwiegende Mehrheit nicht einmal, dass es dieses Buch überhaupt gab.

Eine Frage, die kaum jemand stellt

Diese Erfahrung begleitet mich bis heute, insbesondere in Schreibworkshops. Nahezu alle Teilnehmenden machen sich Gedanken über Textqualität oder Sprache.  

Niemand fragt sich, wie die Öffentlichkeit vom jeweiligen Text erfahren wird. Kurioserweise begehen alle den gleichen Fehler und gehen automatisch davon aus, dass Sichtbarkeit automatisch entsteht, sobald etwas gut ist. Doch das ist ein blinder Fleck und viele nehmen ihn erst viel zu spät wahr.

Sichtbarkeit ist ein Weg

Erst nach der Veröffentlichung meines Romans wurde mir klar, dass Sichtbarkeit weder von allein noch nebenbei entsteht. Sie ist kein automatisches Beiprodukt von Qualität, sondern eine bewusste Entscheidung.

Für mich war es weit außerhalb meiner Komfortzone. Denn es ging darum, mich und nicht nur mein Werk zu zeigen. Genau das habe ich jahrelang vermieden. Im Laufe der Zeit wurde mir klar: Wenn niemand weiß, dass es mich gibt, können weder ich noch mein Roman gefunden werden. Sichtbarkeit ist kein Bonus, sondern das Fundament, auf dem alles andere aufbaut. 

Wenn ich heute an 2019 zurückdenke, ist meine Erkenntnis, dass ohne Sichtbarkeit Qualität unsichtbar bleibt. Sichtbarkeit ist keine Kirsche auf der Torte, kein Sahnehäubchen, sondern die Voraussetzung dafür, dass unsere Arbeit überhaupt eine Chance hat, gesehen, verstanden und genutzt zu werden.

„Sichtbar - 14 authentische Lebensgeschichten“

Damit bin ich nicht allein. Denn im neuen Buch „Sichtbar - 14 authentische Lebensgeschichten“ erzählen mehrere Selbstständige, Unternehmerinnen und Unternehmer, wie es ihnen bei ihren ersten Schritten in die Öffentlichkeit ging. Sie erläutern, was Sichtbarkeit für sie bedeutet, welche Entscheidungen sie getroffen haben und wie sie mit Wendepunkten umgegangen sind. 

Mehr dazu werde ich in der nächsten Podcast-Episode erzählen, denn ich habe nicht nur einen eigenen Beitrag für dieses Buch verfasst, sondern war unmittelbar an der Entstehung beteiligt.

Falls Du herausfinden möchtest, ob Du das Zeug zum Schreiben hast, beantworte ein paar einfache Fragen: Zum kostenlosen Quiz

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